# Eisenmann, Arbeiten
Boris Teskow, ein eher unbekannter Prager Gelehrter und
Gesellschaftskritiker, der am Ende des 19. Jahrhunderts lebte,
sagte einmal »Wenn die Realität es nicht hergibt, dann beginne
zu träumen.«
Gregor Eisenmanns Bilder sind bereits mehrfach als »Traumwelten«
beschrieben worden. Man stellt ihn damit — vielleicht auch eher
unbewusst, geradezu unterbewusst — in die großen Fussstapfen der
Surrealisten. Diese beriefen sich in ihrem Manifest von 1924
ebenso wie Boris Teskow mit seinem ebengenannten Zitat auf
Sigmund Freud.
Freuds frühes Hauptwerk — »Die Traumdeutung« — machte in einer
vernunftgeprägten Welt auf das Unterbewusste aufmerksam.
Phantasie und Absurdität waren dann auch die Waffen des
Surrealismus gegen die menschliche Logik. All dies ist
inzwischen hundert Jahre her. Die damals als arnachistisch
geltenden Surrealisten haben es auf das Abstellgleis der
etablierten Museen geschafft und die Logik bemächtigt sich mehr
und mehr unseres Alltags. Auch der Schlaf ist weiter erforscht.
In diverse Phasen eingeteilt, die durch verschiedene
Gehirnwellen gekennzeichnet sind, ist genau benannt wann die
Wahrnehmung der Umgebung nachlässt, wann die Muskeln erschlaffen
und wann Träume beginnen.
Warum aber geträumt wird ist bis heute noch nicht wirklich klar.
Die wohl bekannteste Hypothese geht von einer Verarbeitung der
erlebten Erinnerungen aus. Zeit und Raum spielen dabei keine
ernstzunehmende Rolle. Die Gedanken jagen durch unser Gehirn und
genauso wie ich Ihnen jetzt die absurde Verknüpfung von Orange
und Oktupus abringen kann bringt das Tagesgeschäft in unseren
Köpfen so manche Stilblüte zustande.
Die Bilder, die sie hier sehen, können ebenso als erweiterte
Verarbeitung des Vergangenen verstanden werden. Collagierte
Photoausschnitte gleichen Gedankenblitzen. Ihre Zusammenstellung
ist weder an lokale noch temporäre Zwänge gebunden. Viel mehr
ist es das Bild selbst gegen das sich Eisenmann stemmt — oder
das Bild gegen ihn. Je nach Lesart.
Ich weiß nicht wie viele von Ihnen den Film »Inception« mit
Leonardo DiCaprio gesehen haben. Ich will kurz umreißen worum es
geht. DiCaprio mimt einen fadenscheinigen Dienstleister, der
sich gegen Bezahlung Zugang zu den Träumen anderer verschafft,
um dort Geheimnisse aus dem Unterbewusstsein zu stehlen,
Gedanken zu manipulieren oder — in der Königsdisziplin — ganze
Ideenkonstrukte zu erschaffen und sie den Mandanten unbemerkt
einzupflanzen.
Bei Gregor Eisenmann ist es im Grunde umgekehrt. Hier ist
jemand, der seine Gedanken offenlegt. Wir müssen uns nicht mit
allerhand technischem Gerät in die Träume begeben. Sie liegen
vor uns. Werden serviert. Wir sehen verschwommene Erinnerungen
von verschiedensten Städten, Reisen, Situationen. Eisenmann
entblößt uns in vielen Bildern seine Welt — Gregors Welt.
Doch der Schein ist trügerisch, denn der auf den ersten Blick
roh wirkende Strom in sich verschachtelter Details ist Ergebnis
eines harten Kampfes. Ein Ringen des Künstlers mit seinen
Erinnerungen und der Form ihrer Darstellung. Zwar lässt er sich
dabei auch von seinen Gefühlen — seinem Unterbewussten — leiten,
doch die ausgefeilte Komposition, der Umgang mit Rythmus und
Farbe, belehren uns eines Besseren:
Hier geht es um Manipulation! Eisenmann will nicht sich selbst
zeigen, sondern uns beeinflussen. Er wird zu einer
morpheushaften Gestalt, bewaffnet mit dunkelschwarzem Kaffee und
künstlichem Tageslicht, die nicht die eigenen Träume offenbart,
sondern die der Betrachter gestaltet.
Wir sehen hier Propaganda! Nicht ideologisch aufgeladen oder
politisch motiviert. Eisenmann fordert viel mehr den mündigen
Betrachter, der den Mut aufbringt sich neuen Realitäten zu
stellen, Teil von ihnen zu werden und sie gemeinsam aus dem
Reich der Träume in die Wirklichkeit zu bringen.
Deshalb ist es auch kein Wunder, wenn das Atelier von Gregor
Eisenmann in Utopiastadt zu finden ist. Einem Bahnhof in der
Nordstadt Wuppertals, der schon lange keine Züge mehr gesehen
hat. Ein Bahnhof, der dennoch davon träumt endlich wieder
Reisende willkommen zu heißen: Künstler und Kreative, aber auch
und vor allem Neugierige jeder Art — eben Träumer.
Denn Boris Teskow wird weiter zitiert: »Wenn die Realität es
nicht hergibt, dann beginne zu träumen bis Dein Traum die
Realität geworden ist.«
Dankeschön.
– 23.05.2012, Christopher Reinbothe, www.phneutral.net
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