ANDREAS STEFFENS
ANGEKOMMEN IN DER NEUEN WELT (REDE ZUR ERÖFFNUNG DER AUSSTELLUNG : GREGOR EISENMANN, „NEUE REALITÄTEN“ GALERIE GERSTAU, REMSCHEID, 1.6.2014 )
Welch ein Bildersturm. Man sieht sofort, in welcher Zeit dieser Bildermacher lebt. Heftig springt den Betrachter aus diesen Bildern Zeitgenossenschaft an. So erstarrt wie jedes fertige Bild, strahlen sie dennoch eine heftige Herausforderung aus. Dabei drängen sie sich nicht auf. Obwohl ihre Präsenz massiv ist. Überfülle stürmt auf den Betrachter ein. Ein starker Wille ist da am Werk, und macht sich spürbar. Ein Wille, zu bewegen. Ein Wille, entstanden in eigener Bewegung. Da folgt einer einer tief empfundenen Notwendigkeit. Jedes Bild könnte auch anders sein; aber nur die Bilder, die ausstrahlen, nur so sein zu können, wie sie geworden sind, bezeugen die Notwendigkeit, die die Person, die sie hervorbringt, bewegt.
Ein Bilderrausch. Aber ein kontrollierter Rausch. Da schaut einer kühl beobachtend seinen eigenen visuellen Ekstasen zu – mit einer an den Betrachter gerichteten, fast höhnischen Geste: seht ihr denn nicht, was geschieht? Ich lasse es euch sehen. Wenn ihr könnt. Fangt an, zu sehen. Als wäre noch nie wirklich gesehen worden. Anspruch und Einsatz sind hoch.
Eine Geste, die den Hohn der Bilderwelt selbst spiegelt, in der wir leben, indem sie deren Überfülle zu einer Kenntlichkeit ordnet, die in ihrer Wahrnehmung durch diese Person entsteht. Und doch scheinbar ein Chaos hervorbringt, das dem entspricht, woraus sie die Motive dieser Bilder wählt. Denn das sind sie, diese Bilder: geordnet. Streng komponiert. In harter Arbeit strukturiert, nicht im Rausch, dessen Eindruck sie auf den ersten Blick erzeugen, hingeworfen.
Eine große bunte Bilderparty, so zeitgenössisch wie die neue jugendliche Subkultur der Clubs und Clips, der Bits und Apps. Aber ist das auch zeitgemäß? Eisenmann selbst verabscheut den Partyzirkus, der zum Modell auch der jungen Kunstszene wurde. Und macht ihn sich doch als Ort ästhetischer Gegenevents zunutze, in der die Sehnsucht nach Sinn und die Nostalgie des Gesamtkunstwerks gleichermaßen wirken.
Sieht man dann genauer hin, erschließt sich unter der überbordend verspielten Oberfläche eine ernste Tiefenschicht nach Herkunft und Absicht.
Wie manche Kinder mit ihren Eltern keine Ähnlichkeit haben, lassen Gregor Eisenmanns Bilder ihre ästhetischen Ahnen und Inspirationen nicht sofort erkennen. Dass er malerisch in Geste und Bildaufbau vom Informel herkommt, muss man wissen, es lässt sich nicht ohne weiteres sehen. Womit sie ein wesentliches Maß der Modernität erfüllen, die für seine Generation kein verbindliches Maß, sondern nur noch ein unerschöpflicher Fundus an Motiven zu sein scheint: ohne Kenntnis des Wissens, das es verarbeitet, bleibt ein Kunstwerk unverständlich. Denn es reagiert auf die Wirklichkeit seines Produzenten, der in ihm gestaltet, was er von ihr weiss.
1967 formulierte Gerhard Hoehme, der das Informel am weitesten zu einer eigenen, neuen Bildgestalt entwickelte, die weder die Kunsthistoriker, noch die nachfolgenden Künstler angemessen wahrnahmen, ein Bild sei zugleich ein „Ding“, und ein „transzendenter Raum“. Die ‚Transzendenz’ dieser Bilder, der Raum, in den hinein sie überschreiten, was sie zu zeigen scheinen, ist gerade ein Jenseits der digitalen Bilderflut, die sie oberflächlich abbilden. Ein Raum, in dem man noch bei sich sein, und wieder zu sich kommen kann: für den Künstler, den Maler sind es seine Werke, seine Bilder.
Eisenmanns Bilder leugnen nicht, was ihn bedrängt, sie verwandeln es, indem sie sich der Bedrängnis stellen. Der chaotischen Bildermasse, mit der das alltägliche Leben jeden konfrontiert, setzt er eine eigene Ordnung entgegen. Hervorgebracht werden sie von der Geste einer zeichnenden Hand, die in einen Bilderstrom eingreift, den sie aus dem Universum der digitalen Bilder in die Techniken der Bildverarbeitung übertragen hat, und nun einem Rausch der Verflüssigung, der Streuung und Überlagerung, der Gestaltzerstörung und Formfindung aussetzt, in dem die Hand die informellen Gesten eines Emil Schumacher oder Fred Thieler ebenso zitiert, wie die der Popart und Videokunst. Was derart entsteht, wird als Fotodruck zum Bildträger ‚klassischer’ Mal- und Zeichnungsgesten. Auch dies ein Zitat: K.H. Sonderborg malte seine Minutenbilder auf Fotopapier.
Die so entstandenen Gebilde versprechen „Neue Realitäten“. Das ist verlockend. Wer wünschte sich keine? Nicht wenigstens seine eigenen anders, sich selbst gemäßer. Älteste Sehnsucht wird da angesprochen. Das ‚Neue’ ist die Hoffnung jeder Jugend – bis es, einmal erfunden, zur ‚Realität’ tatsächlich geworden ist, und der Zyklus von Werden und Vergehen, von Überdruß und Verlangen nach Wandel von neuem beginnt.
Dabei leben wir längst in ‚neuen Realitäten’, gemessen an denen, in die diejenigen von uns hineingeboren wurden, die heute vierzig Jahre und älter sind. Das Stofflich-Wirkliche hat sich wenig geändert, noch weniger unsere Gefühle, Umgangsformen, Bedürfnisse und Lebensführungen; die Instrumente, die Werkzeuge ihrer Herstellung dagegen um so mehr. Die Revolution, die stattfand, ist keine des Wirklichen, sondern seiner Bearbeitung. Der erste – und wohl bis heute einzige wirkliche – Medienphilosoph Vilém Flusser hat diesen Vorgang vor dreissig Jahren genau erfaßt, als er beschrieb, was er eine ‚neue Einbildungskraft’ nannte. Er sah sie gekennzeichnet durch eine neue Geste des Bildermachens. Als eine Geste des Zusammenklaubens von Punktelementen (von Kalkuliertem) zu Bildern zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie konkretisierend ist: sie sammelt nulldimensionale Elemente, um sie, über die dazwischen klaffenden Intervalle hinweg, in eine Fläche zu raffen. (…) Sie ist nicht abstrahierend, rückschreitend, sondern im Gegenteil konkretisierend, projizierend (Vilém Flusser, Eine neue Einbildungskraft, in: Volker Bohn, Hg., Bildlichkeit, Ffm 1990,122 ff).
Genau das geschieht in den Vorgängen, in denen diese Bilder entstehen. So sehr, dass diese Theorie durchaus als ‚Gebrauchsanweisung’ ihrer sinnvollen Betrachtung gelesen werden kann (wenn sie nicht sogar die ihrer Herstellung ist). Hier wird nichts mehr gezeigt, sondern veranschaulicht, welch andere konstruktive Möglichkeiten in den vorhandenen Realitäten angelegt sind, wenn man sie nur daraufhin anschaut. Das virtuelle, aus nichts als elektronischen Elementen bestehende Bild ist die ideale Grundlage für diese Arbeit, das Mögliche im Wirklichen sichtbar zu machen.
Dazu bedarf es jedoch nicht nur der Beherrschung der Techniken, über die Eisenmann virtuos gebietet, sondern eben der Einbildungskraft, der Phantasie, die dem Urdrang des Lebens nach Beherrschung der Wirklichkeit durch ihre Formung folgt. Eisenmann folgt einer utopischen Ästhetik. Die Räume der Phantasie, die er öffnet, sind buchstäblich Räume: denn es scheinen mir Bilder eines virtuellen Städteplaners zu sein, die in der Konstruktivität, mit deren Mitteln sie Ansichten von Unwirklichem zeigen, visuelle Utopien der Städte, der konstruierten Räume, in denen Menschen leben werden, vorwegnehmen. Das aber ist kein technisch verfeinertes ästhetisches Spiel, sondern eine Fortsetzung, auf die Urnötigung zu reagieren, der die Welt alle Menschen aussetzt, die in ihr leben wollen: die Räume herzustellen, in denen gelebt werden kann.
Da ist einer mit seiner ästhetischen Aufmerksamkeit und mit seinen künstlerisch-gestalterischen Impulsen in der neuen, der ‚computierten’, Wirklichkeit unserer Zeit angekommen. Und kann denen, die darin bereits mit der Blindheit des Selbstverständlichen leben, zeigen, was das bedeutet.
Im Jahr 1954 hielt der – heute vergessene – Bauhaus-Meister Georg Muche einen Vortrag mit dem Titel: „Die Kunst stirbt nicht an der Technik“. Mit den Mitteln einer Bilderzeugung, wie Gregor Eisenmann sie zu entwickeln begann, könnte sich das auf lange Sicht noch einmal bewahrheiten, in einer Epoche, deren Lebensform längst ausschließlich von Technik bestimmt ist.
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